Im Rhythmus der Heilung: Wie Pendeln bei Trauma das Nervensystem beruhigt und neue Wege öffnet
Nach einer traumatischen Erfahrung kann sich unser inneres Erleben anfühlen, als wäre eine Schallplatte hängen geblieben. Immer wiederkehrende belastende Gefühle, Körperempfindungen oder Bilder drängen sich auf, während gleichzeitig ein Teil von uns versucht, genau diese zu vermeiden. Das Nervensystem ist oft entweder in ständiger Alarmbereitschaft oder wie erstarrt. Aus diesem Zustand der Fixierung herauszufinden, erfordert einen behutsamen Ansatz. Eine zentrale und äußerst wirkungsvolle Technik in der modernen Traumatherapie ist das sogenannte Pendeln. Es hilft uns, wieder in einen gesunden Rhythmus zu finden und die Fesseln der Vergangenheit sanft zu lösen.
Das Trauma und die Suche nach Balance
Traumatische Erlebnisse können unser Nervensystem tiefgreifend desorganisieren. Es verliert seine natürliche Fähigkeit zur Selbstregulation – die Fähigkeit, flexibel zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Aktivität und Ruhe zu wechseln. Stattdessen kann es in Extremen verharren: entweder im „Zu viel“ (Übererregung, Panik, innere Unruhe) oder im „Zu wenig“ (Taubheit, Erstarrung, Depression). Der Versuch, direkt und unvorbereitet in die traumatische Erinnerung einzutauchen, kann dieses Ungleichgewicht noch verstärken und zu erneuter Überwältigung führen.
Was genau ist Pendeln in der Traumatherapie?
Pendeln beschreibt das bewusste und achtsame Hin- und Herbewegen der Aufmerksamkeit zwischen zwei Polen:
- Dem Pol der Belastung: Dies kann eine kleine, gerade noch gut handhabbare Dosis einer traumatischen Erinnerung sein – eine leichte Körperempfindung (z.B. ein Kloß im Hals, eine leichte Enge in der Brust), ein vages Gefühl (z.B. leichte Unruhe) oder ein flüchtiges inneres Bild.
- Dem Pol der Ressource oder Sicherheit: Dies ist ein Ort, eine Empfindung oder eine Vorstellung, die als angenehm, sicher, neutral oder stärkend erlebt wird. Das kann die Wahrnehmung der Füße auf dem Boden sein, ein warmer Sonnenstrahl auf der Haut, die Erinnerung an einen geliebten Menschen oder einen sicheren Ort in der Natur.
Wie ein Pendel, das sanft von einer Seite zur anderen schwingt, wird die Aufmerksamkeit behutsam zwischen diesen beiden Polen bewegt. Der Schlüssel liegt darin, nur kurz und in kleinen Dosen mit dem belastenden Material in Kontakt zu treten, bevor die Aufmerksamkeit wieder aktiv zu einer stärkenden Ressource gelenkt wird.
Wie funktioniert Pendeln in der Praxis?
Der Prozess des Pendelns wird typischerweise von einer erfahrenen Therapeutin oder einem Therapeuten begleitet, die/der hilft, den Prozess sicher zu gestalten:
- Ressourcen verankern: Bevor man sich überhaupt der Belastung nähert, werden angenehme und stärkende Ressourcen identifiziert und im Körper spürbar gemacht („verankert“). Dies schafft eine sichere Basis.
- Sanfter Kontakt: Die Therapeutin/der Therapeut leitet die Klientin/den Klienten an, für einen kurzen Moment eine kleine Facette der traumatischen Erfahrung wahrzunehmen – oft nur eine Körperempfindung, die damit verbunden ist.
- Aktives Zurückkehren zur Ressource: Unmittelbar danach wird die Aufmerksamkeit bewusst zurück zur vorher etablierten Ressource gelenkt. Man spürt nach, wie sich die angenehme Empfindung im Körper ausbreitet und das Nervensystem sich beruhigen kann.
- Wahrnehmen des Unterschieds: Die Klientin/der Klient lernt, den Unterschied zwischen der leichten Aktivierung durch das Traumafragment und der Entlastung durch die Ressource zu spüren.
- Wiederholung und Integration: Dieser Zyklus aus kurzem Kontakt mit der Belastung und Rückkehr zur Ressource wird mehrfach wiederholt. So lernt das Nervensystem Stück für Stück, dass es möglich ist, sich dem Schwierigen anzunähern, ohne davon überflutet zu werden. Die blockierte Energie kann sich langsam entladen.
Beispiele für das Pendeln im therapeutischen Alltag:
- Herr K. leidet unter Schlafstörungen und innerer Unruhe, seit er einen Beinahe-Unfall erlebte.
- Belastungspol (kleine Dosis): Das leichte Kribbeln in den Händen, wenn er an das Bremsgeräusch denkt.
- Ressourcenpol: Das Gefühl seiner festen Verbindung zum Stuhl, auf dem er sitzt, oder die beruhigende Vorstellung seines sicheren Gartens.
- Pendeln: Herr K. spürt kurz das Kribbeln, dann lenkt er mit Unterstützung des Therapeuten die Aufmerksamkeit auf das Gefühl des Stuhls unter ihm, bis sich das Kribbeln legt und ein Gefühl der Ruhe einkehrt.
- Frau M. fühlt sich oft beklommen in Situationen, die sie an eine frühere, als demütigend erlebte Prüfung erinnern.
- Belastungspol (kleine Dosis): Eine leichte Enge im Brustkorb, wenn sie an das Prüfungszimmer denkt.
- Ressourcenpol: Die Erinnerung an eine erfolgreich gemeisterte Herausforderung oder das Gefühl der warmen Teetasse in ihren Händen.
- Pendeln: Sie spürt die Enge für einen Moment, dann konzentriert sie sich auf das warme Gefühl der Teetasse und die damit verbundene Entspannung.
Warum ist Pendeln so wirkungsvoll in der Traumaheilung?
- Verhindert Retraumatisierung: Indem immer nur kleine, bewältigbare Anteile der traumatischen Erfahrung aktiviert werden, wird eine erneute Überforderung des Nervensystems vermieden.
- Erweitert das „Window of Tolerance“: Das Fenster der Toleranz beschreibt den Bereich, in dem wir Gefühle und Körperempfindungen wahrnehmen können, ohne in Über- oder Untererregung zu geraten. Pendeln hilft, dieses Fenster behutsam zu erweitern.
- Stärkt die Selbstwirksamkeit: Klientinnen und Klienten erfahren, dass sie schwierigen inneren Zuständen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern aktiv zu einem Gefühl von Sicherheit und Ruhe zurückfinden können.
- Fördert die neuronale Integration: Das Gehirn lernt, die traumatischen Fragmente neu zu bewerten und mit positiven oder neutralen Erfahrungen zu verknüpfen. Dies ermöglicht eine schrittweise Integration des Erlebten.
- Reguliert das Nervensystem: Pendeln ist wie ein Training für das Nervensystem, um seine natürliche Flexibilität und Schwingungsfähigkeit zurückzugewinnen.
Ein heilsamer Rhythmus auf dem Weg zu sich selbst
Das Pendeln ist mehr als nur eine Technik; es ist ein Ausdruck einer achtsamen und respektvollen Haltung gegenüber den tiefen Wunden, die ein Trauma hinterlassen kann. Es ehrt das Bedürfnis des Systems nach Sicherheit und gibt ihm die Zeit und den Raum, die es für die Heilung braucht. Im Rubin-Institut ist das Pendeln ein integraler Bestandteil unserer Arbeit mit traumatisierten Menschen, um sie auf ihrem Weg zurück zu mehr innerer Balance, Lebendigkeit und Vertrauen zu begleiten.
Wenn Sie spüren, dass Ihr Nervensystem festgefahren ist und Sie sich nach mehr innerem Frieden sehnen, laden wir Sie herzlich ein, mit uns Kontakt aufzunehmen. Gemeinsam können wir erkunden, wie auch Sie wieder in Ihren eigenen heilsamen Rhythmus finden können.
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