Trauma aus der Sicht des Körpers
Zu jedem Leben gehören Ereignisse, die in vielfältigen Formen verletzend oder schockierend sind. Ob diese Geschehnisse traumatisierend sind, d.h. in besonderer Weise im Nervensystem der erlebenden Person abgespeichert werden, hängt nicht nur vom Ereignis an sich ab, sondern vor allem auch davon, wer es erleidet, denn:
Menschen sind verletzlicher für Traumatisierung, wenn ihnen wenig psychische Ressourcen zur Verfügung stehen und wenn ihr Nervensystem vorbelastet ist. Neueste Forschungen zeigen: Je sicherer unsere Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit waren, desto resilienter (d.h. widerstandsfähiger) sind wir gegen eine Überlastung unseres Nervensystems durch Ereignisse, die wir als „zu schnell“ oder „zu viel“ empfinden.
Im Ideal sind unsere Selbstregulationsfähigkeiten so gut, dass wir nach traumatisierenden Ereignissen nach einer Weile wieder „in unserer Mitte“ landen. Häufig finden Menschen allerdings nicht so bald ihr inneres Gleichgewicht wieder, sondern entwickeln Symptome, die sie vielleicht erst einmal gar nicht mit dem Geschehnis in Verbindung bringen (z.B. Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Alpträume, Schreckhaftigkeit, Depressionen usw.).
Wie geschieht Traumatisierung
Jemand kann auf verschiedene Weise traumatisiert werden. Eine schockartige Traumatisierung geschieht meist unvorbereitet und überraschend, wenn ein Ereignis zu stark, schnell und überwältigend ist. Der Körper und Geist werden so stark beeinträchtigt, dass die betroffene Person ohnmächtig werden kann. Aber auch bei einem Überleben des Ereignisses kann die Energie nicht abgebaut werden, wenn der Organismus nicht die Möglichkeit hat, sich zu orientieren und die erstarrte Energie abzubauen. Die Energie bleibt dann „im Körper stecken“ und führt später zu Symptomen.
Eine andere Art der Traumatisierung ist langsamer, schleichend und wiederholt. Dies geschieht oft über einen längeren Zeitraum und größtenteils im Kontakt mit Bezugspersonen. Man spricht hier von Entwicklungstrauma oder Beziehungstrauma. Dies geschieht, wenn eine überwältigende oder quälende Einwirkung über längere Zeit anhält oder mehrfach wiederkehrt. Solche Erfahrungen prägen oft das Erleben der Welt und die Beziehungen zu anderen Menschen tiefgreifend und machen therapeutisches Arbeiten oft langfristiger als die Arbeit an Schocktraumata.
Eine besondere Form von Entwicklungstrauma sind Bindungstraumata. Wenn ein Neugeborenes zu wenig Kontakt mit Bezugspersonen hat, kann das Nervensystem des Kindes in einer dauerhaften Übererregung bleiben. Das Kind wird in der Folge die Welt durch die „Brille“ dieses nicht flexiblen und gesund entwickelten Nervensystems erleben, was es verletzlicher für Traumatisierungen durch spätere Ereignisse macht. Solche Traumata können die Fähigkeiten beeinträchtigen, nährende Beziehungen und Freundschaften aufzubauen, empathisch auf andere Menschen zuzugehen, ein stabiles Ich-Gefühl mit Wertschätzung für die eigene Person zu haben und gut für sich selbst zu sorgen.
Neueste Forschungen zeigen jedoch, dass unser Gehirn und unser Nervensystem lernfähig sind. Daher können Selbstregulationsfähigkeiten im therapeutischen Prozess und durch den Kontakt mit verlässlichen Bezugspersonen (wie Therapeutinnen oder Beziehungspartnerinnen) erlernt werden. Dadurch können bereits erlebte Traumata besser integriert und wir widerstandsfähiger gegen zukünftige Belastungen werden.
Natürlich gibt es viele Faktoren, die das beeinflussen. Sichtbar wird es später vor allem am Toleranzfenster oder window of Toleranz nach Dan Siegel.
Das Window-of-Tolerance beschreibt ein persönliches Toleranzfenster für Stress, das sich in den ersten Lebensjahren ausbildet und individuell unterschiedlich weit entwickelt wird.1 Es beschreibt einen optimalen emotionalen Zustand, in dem man am besten funktionieren und gedeihen kann.2 Dan Siegel hat den Begriff 1999 in seinem Buch The Developing Mind geprägt und vorgeschlagen, dass jeder eine Bandbreite an emotionalen Erfahrungen hat, die sie bequem erleben, verarbeiten und integrieren können.
Trauma und Körper
Ein Trauma ist eine Erfahrung, die sehr belastend ist und den Körper und das Gehirn stark beeinflusst. Es kann zum Beispiel passieren, wenn man einen Unfall hat oder Opfer von Gewalt wird. Bei einem Schocktrauma bleibt eine hohe Energie im Körper, die zu Symptomen führt. In der Körpertherapie versucht man, diese Energie loszuwerden. Bei einem Bindungstrauma kann es schwer sein, Emotionen zu kontrollieren. Manche Gefühle werden zu stark oder man kann sie gar nicht fühlen. In der Therapie lernt man, besser mit seinen Gefühlen umzugehen und sie im Körper zu regulieren. Bei einem Schocktrauma reagiert der Körper nicht vollständig auf eine bedrohliche Situation, wodurch Energie im Körper bleibt und zu Symptomen führen kann. Bei einem Bindungstrauma können Emotionen nicht gut reguliert werden, was zu Überreaktionen und Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen führt.
Im Coaching hilft das Verständnis des O-Effekts, zu verstehen, dass nicht abgeschlossene Prozesse immer wieder einen Lösungsversuch im Leben Klienten erschaffen, indem man sich traumaähnlichen Situationen wiederholt aussetzt. (Vergewaltigte Frauen suchen sich gewaltbereite Männer, die aber einen lieben Anteil haben müssen). So besteht die vermeintliche Change, dass es gelöst wird.
Das Pendeln
In der körperorientierten Traumatherapie nutzt der/die Therapeut/in die natürliche Fähigkeit unseres Körpers, zwischen verschiedenen Erregungszuständen des Nervensystems hin und her zu pendeln. Durch das sorgfältige Anwenden in kleinen Schritten, kann der Körper entladen werden, indem spontane Bewegungen wie Zittern oder Aufatmen auftreten. Nach dem Entladen wird die Energie integriert. Dieser Integrationsprozess wird durch willentlich „geübte“ Abwehrbewegungen unterstützt, die die ursprüngliche Situation vervollständigen sollen, indem sie nicht ausgeführte Abwehrreflexe wie Orientierung, Kampf, Schutz oder Flucht vollenden. All dies geschieht im Zustand der Achtsamkeit.
Aber auch im Coaching helfen solche Prozesse wieder neue Wahlmöglichkeiten zu erschaffen. Wir gehen mit den Klienten an die Grenzen, dessen, was erschafft und verbinden ihn mit seinen Ressourcen. Dieser ressourcenorientierte Lösungsansatz ist kraftvoll und bietet Möglichkeiten der Heilung auch ohne das Trauma zu betrachten. Das Window of Toleranz kann mit achtsamer Begleitung erweitert werden.
Körperorientiertes traumasensibles Coaching
Traumasensibles Coaching ist ein Ansatz, der ähnlich der Körpertherapie daran arbeitet, traumatische Erfahrungen zu heilen, indem der Körper als Schlüssel zur Erschaffung neuer Wahlmöglichkeiten genutzt wird. Der Körper wird als Ort betrachtet, an dem die hinderlichen Erinnerungen gespeichert sind und die Symptome des Traumas auftreten. Durch gezielte körperliche Interventionen und Achtsamkeitsübungen können Traumata geheilt werden, indem der Körper in die Selbstregulierung zurückgeführt wird und somit die Symptome des Traumas reduziert werden. Das traumasensible Coaching nutzt unter anderem Techniken wie Bewegung, Atmung und andere körperliche Interventionen, um die Spannungen im Körper zu reduzieren und eine tiefe Entspannung und Entladung zu ermöglichen. Dies traumasensibe Coaching hilft dem Klienten, in einem sicheren Umfeld Vertrauen in seinen Körper und seine Wahrnehmungen zu gewinnen.
Und was alles besser verstehen zu können, werfen wir im nächsten Artikel mal einen Blick auf das Window of Tolerance.
Ergänzend dazu empfehlen wir den Podcast: Toleranzfenster und Selbstregulation.